Stolpersteinverlegung am 14. Juni 2023
Am Mittwoch, dem 14. Juni wurden in Chemnitz 25 neue Stolpersteine an elf Orten im Stadtgebiet eingeweiht. Insgesamt erinnern nun mehr als 300 der Gedenksteine in der Stadt an Schicksale von Menschen, die während des nationalsozialistischen Regimes verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Tod getrieben wurden.
Brauhausstraße 19
Stolperstein für Siegfried Lässig
Siegfried Lässig gehörte zu den Chemnitzer Antifaschisten, die vom Naziregime systematisch verfolgt und von 1933 bis 1945 fast ununterbrochen inhaftiert waren. Nach einer Odyssee durch Gefängnisse und Konzentrationslager erlebte er im März 1945 in einer Außenstelle vom KZ Stutthof die Befreiung durch die Rote Armee und kehrte zurück nach Chemnitz.
Schülerinnen und Schüler der Montessori-Oberschule Chemnitz, die auch die Patenschaft für den Stein übernommen haben, begleiten die Zeremonie mit einem Programm. Die Bürgermeisterin für Bildung, Soziales, Jugend, Kultur und Sport, Dagmar Ruscheinsky, wird die Anwesenden begrüßen und Enrico Hilbert, Vorsitzender des VVN-BdA Chemnitz, zur Biografie des Geehrten sprechen.
Paten: Schülerinnen und Schüler der Montessori-Oberschule Chemnitz
Reichenhainer Straße 8
Stolpersteine für David Josef, Gitel, Max, Klara, Leopold und Adela Bauer
Der selbständige Uhrmacher David Josef Bauer und seine Ehefrau Gitel Bauer, geb. Weingast wurden im Oktober 1938 verhaftet und mit ihren beiden jüngeren Kindern Max Bauer und Klara Bauer, verh. Margulies nach Polen verbracht, wo sie ab Juli 1941 im Ghetto Tarnopol lebten. Tochter Klara überlebte als einzige und wanderte 1949 in die USA aus. Leopold Bauer, der älteste Sohn, trat 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands und später der KPD bei. 1933 emigrierte er nach Frankreich, überlebte dort Internierung und später Haft in der Schweiz und kehrte 1945 nach Deutschland zurück. Tochter Adela Bauer, verh. Haldane gelang es, nach Shanghai auszuwandern und von dort 1947 in die USA zu emigrieren.
Neben weiteren Nachkommen der Familie wird der Sohn von Adela Bauer, David Haldane mit seiner Tochter aus den USA zur Stolpersteinverlegung anreisen. Schülerinnen und Schüler des Georgius-Agricola-Gymnasiums begleiten die Verlegung mit einem kleinen Programm.
Paten: Franziska Plickat, Kollektiv 58, Michael Müller, Georgius-Agricola-Gymnasium, Susanna Herzog, Julia Plickat und Gayle Schreiber Margulies
Bernsdorfer Straße 1, heute neben Ritterstraße 17
Stolperstein für Max und Marta Tebrich
Der Apotheker Max Tebrich musste unter dem Druck der Nationalsozialisten bereits 1936 die von ihm geführte Rosen-Apotheke in Chemnitz aufgeben und gemeinsam mit seiner Ehefrau Marta Tebrich, geb. Heinemann die Stadt verlassen. In Berlin wurden die Eheleute im November 1942 zunächst gezwungen, in ein Jüdisches Altersheim ziehen und von dort wenige Tage später nach Theresienstadt deportiert.
Pate: Beate und Dr. Bernd Flade, Stephan Lazarides
Heinrich-Beck-Straße 38, heute Höhe Heinrich-Beck-Straße 47
Stolperstein für Elisabeth Chalybäus
Die früher als Privatlehrerin tätige Elisabeth Chalybäus wurde aufgrund der Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes im Sommer 1921 mehrfach in die Nervenheilanstalt im Ortsteil Hilbersdorf und schließlich im April 1922 in die Heil- und Pflegeanstalt in Zschadraß überführt. Dort befand sie sich bis zum 8. August 1940, an dem sie mit 89 weiteren Patienten in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein transportiert und ermordet wurde.
Paten: Gerhard Schwindt, Hans-Martin Schwindt und Dorothea Specht
Agricolastraße 9
Stolpersteine für Wolf, Regina, Hertha, Herbert, Erich Joseph
Der Kaufmann Wolf Joseph, Inhaber einer Firma für Möbelstoffe und Vorhänge, hatte mit seiner Ehefrau Regina Joseph, geb. Krotoschin vier gemeinsame Kinder. Die älteste Tochter Hertha Richter, geb. Joseph wohnte nach ihrer Scheidung wieder bei den Eltern in der Agricolastraße, während ihre beiden Söhne nach Palästina auswanderten. Im Juli 1942 wurde sie nach Osten deportiert. Der Sohn Herbert Joseph gründete eine eigene Firma mit Sitz in Chemnitz, die er nach seiner Verhaftung 1938 unter Zwang verkaufen musste. Er starb im Dezember 1941 im KZ Buchenwald. Sohn Erich Karl Joseph kam während der Pogrome am 12. November 1938 in „Schutzhaft“, wurde später nach Sachsenhausen, Dachau und schließlich Buchenwald überführt, wo er im August 1941 starb. Nur Tochter Elsa gelang es, 1939 nach England auszuwandern.
Die Eltern wohnten zuletzt im „Judenhaus“ in der Agricolastraße 9, wo die Mutter infolge eines tragischen Haushaltsunfalls im März 1940 verstarb. Der schwer gezeichnete Witwer Wolf Joseph lebte zuletzt im Jüdischen Altersheim am Antonplatz, wo er im Oktober 1942 verstarb.
Paten: Mike Wirrig, Susanne Stelzer, Ilka Lange, Ulrike Riethmüller und Thomas Wabst, privat
Kurfürstenstraße 2, heute Puschkinstraße 2
Stolpersteine für Hermann, Gertrud und Ruth Goldschmidt
Der jüdische Kaufmann Hermann Goldschmidt konvertierte 1906 zum Protestantismus, musste aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft unzählige Erniedrigungen während der Nazi-Zeit erleiden. Seine Ehefrau Gertrud Goldschmidt, geb. Zwicker und die gemeinsame Tochter Ruth Goldschmidt konnten auch seine Beerdigung im Jahr 1939 auf dem Städtischen Friedhof Chemnitz nur unter großen Schwierigkeiten organisieren. Tochter Ruth wurde im Jahr 1944 als Halbjüdin zur Zwangsarbeit einberufen. Mutter und Tochter konnten einer Deportation am Ende des Krieges knapp entgehen, verloren aber in der Bombennacht vom 5. März 1945 ihr gesamtes Hab und Gut.
Paten: Dorte Munck, Kirchgemeinde St. Jakobi-Kreuz Chemnitz, Mike Wirrig
Flemmingstraße 4
Stolperstein für Elisabeth Monika Hecht
Elisabeth Monika Hecht gehörte zu den Kindern, die der nationalsozialistischen „Euthanasie“ zum Opfer fielen. Von Geburt an körperlich eingeschränkt, wurde sie nach einer Meldung der Klinik an das Gesundheitsamt von den Behörden in die „Kinderfachabteilung“ in Brandenburg-Görden eingewiesen, wo sie im Alter von nur vier Monaten verstarb.
Pate: Familie Wollmann
Lange Straße 33, heute in der Nähe von Am Rathaus 8
Stolpersteine für Sally, Anna und Ruth Gliksman
Sally Gliksman, gelernter Schneider und ab 1926 Inhaber eines Geschäfts für Herrengarderobe in Chemnitz, unterstützte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Chemnitzer Antifaschisten. Nach den Novemberpogromen wanderte er nach Belgien aus, seine Ehefrau Anna Gliksman, geb. Freier folgte ihm mit Tochter Ruth Gliksman kurze Zeit später. Die Familie wurde dort im Dezember 1943, zur Zeit der Besetzung Belgiens durch die deutsche Wehrmacht, verhaftet und im Januar 1944 nach Auschwitz deportiert. Sally Gliksman überlebte das Lager und den Todesmarsch 1945. Er kehrte im September 1945 nach Chemnitz zurück, wo er sich wieder der Jüdischen Gemeinde anschloss und im Vorstand engagierte. Seine Frau und die gemeinsame Tochter wurden in Auschwitz ermordet.
Paten: Raimund Köhnen, Manuela Köhnen, Oberschule Am Flughafen
Annaberger Straße 200
Stolperstein für Emil Wallner
Der Chemnitzer Antifaschist Emil Wallner engagierte sich als Mitglied der KPD im Chemnitzer Elektrizitätswerk, wo er als Schlosser angestellt war. Nach seiner fristlosen Entlassung wegen seines Einsatzes für die Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition 1933 folgte 1935 seine Verhaftung wegen illegaler Arbeit für die verbotene KPD. Er wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vom Oberlandesgericht Dresden zu zwei Jahren und zehn Monaten Zuchthaus verurteilt. Die während der Haft erlittenen schweren Misshandlungen führten im Mai 1937 zu seinem Tod.
Pate: Christian Seeling
Heimgarten 100
Stolperstein für Julius Strauß
Der erfolgreiche Kaufmann Julius Strauß gehörte zu den jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gekämpft haben. Nach dem frühen Tod seiner Ehefrau zog der Witwer mit den zwei Söhnen in das Haus Heimgarten 100. Am 7. September 1935 wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenburg überführt. Nach kurzer Freilassung wurde er am 10. November 1938 erneut verhaftet und nach Buchenwald gebracht. Die Freilassung am 1. Dezember war mit der Auflage verknüpft, Deutschland zu verlassen. Doch auch in Frankreich entging er nicht dem Terror des Regimes und wurde nach seiner Verhaftung im August 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Paten: privat
Euba, Nr. 125, heute Hauptstraße 137a
Stolperstein für Hulda Hedwig Heinke, geb. Felber
Hulda Hedwig Heinke, geb. Felber wuchs in Euba mit fünf Geschwistern auf und wurde in evangelisch-lutherischer Tradition vom Elternhaus erzogen. Nach der Hochzeit mit Ernst Heinke zog das kinderlose Ehepaar nach Chemnitz. Im Alter von 45 Jahren wurde sie aufgrund der Verschlechterung einer fortschreitenden Erkrankung des Nervensystems in die Städtische Nervenheilanstalt Chemnitz-Hilbersdorf eingewiesen und von dort wenig später in die Landesheil- und Pflegeanstalt in Zschadraß überführt. Am 10. Juli 1940 wurde Hedwig Heinke im Rahmen der „Aktion T4“ in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht, wo sie vermutlich noch am selben Tag mit Gas ermordet wurde.
Pate: Angela und Frank Hohaus