Stolpersteinverlegung am 20. September 2016
23 Stolpersteine kamen bei der Verlegung am 20. September 2016 zu den 132 bereits in Chemnitz vorhandenen hinzu:
Hohe Straße 9
Leo Elend (*29.4.1896 - † 7.3.1939) war Lehrer und Leiter der Jüdischen Sonderklassen in Chemnitz. Er wurde 1938 berufen, die Jüdischen Sonderklassen in Chemnitz zu leiten. Die Lehrerfamilie wohnte zunächst im Israelitischen Gemeindeamt, Hohe Straße 9. Während des Novemberpogroms 1938 wurde er in »Schutzhaft« genommen und in das KZ Buchenwald verschleppt. Als ehemaliger Weltkriegsteilnehmer durfte 1938 wieder nach Chemnitz zurückkehren. Dort strich die Schulbehörde der Israelitischen Gemeinde die Mittel für die Sonderklassen. Dem beschäftigungslosen Lehrer wurden alle Vermögenswerte gesperrt.
Leo Elend litt an seiner ausweglosen Lage so stark, dass er am Abend des 7. März 1939 freiwillig aus dem Leben schied. Er wurde am 14. März auf dem Gemeindefriedhof beigesetzt.
Pate: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Arbeitskreis Chemnitz
Agricolastraße 2
Adolf Gustav Pakulla (*14.4.1892) - der Kaufmann, Fabrikant und Inhaber einer Trikotagenfabrik wohnte in Chemnitz in der Agricolastraße 2, bevor er in »Judenhäusern« leben musste. Nach 1939 war er stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Kultusvereinigung in Chemnitz. Mit dem Transport vom 8.9.1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert.
Von dort brachten die Nazis ihn am 29.1.1943 nach Auschwitz, wo er den Tod fand.
Pate: Georgius-Agricola-Gymnasium
Ricarda-Huch-Straße 18, (einst St. Privatstraße 18)
Ruth Speck (*20.8.1919) ist eines von nahezu 700 Opfern der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Verbrechen in Chemnitz. Ruth Speck, lebte mit ihrer Mutter Martha, die als Pflegerin im Krankenhaus an der Zschopauer Straße arbeitete, in der St. Privatstraße 18. Nach der Kindergarten- und Hilfsschulzeit traten bei Ruth ernsthafte gesundheitliche Probleme auf. Seit 1933 war Ruth in der Landeserziehungsanstalt Altendorf in Pflege. Als im Mai 1940 beschlossen wurde, die Pflegeabteilung aufzulösen, wurden 300 Kranke mit Sammeltransporten in die Landesanstalt Arnsdorf verlegt – so am 31.5.1940 auch Ruth Speck. Im Rahmen der nationalsozialistischen Krankentötungsaktion hatte die so genannte »Gemeinnützige Transport-GmbH« längst begonnen, auch aus der Landesanstalt Arnsdorf Patienten zu verlegen. Ruth Speck wurde am 31.7.1940 in die »Euthanasie«-Anstalt Pirna-Sonnenstein gebracht und getötet.
Pate: Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Matthäus
Rudolf-Krahl-Straße 32, (einst Burgstraße 32)
Gertrud Beck, Karl Beck und Edgar Beck - als Mitglieder einer jüdischen Kaufmannsfamilie ist jedem von ihnen ein Stolperstein an der Rudolf-Krahl-Straße 32 (früher Burgstraße) gewidmet. Hier war ihr letzter Wohnort. Gertrud Schauber (*17.12.1896), die erste Gattin von Rudolf Beck, die von 1934 bis 1938 Sekretärin des Rabbiners Dr. Hugo Fuchs war, wurde mit ihren Söhnen Karl und Edgar am 21. Januar 1942 von Leipzig in das Ghetto Riga deportiert und gilt seitdem als verschollen. Die Familie von Karl Beck (*15.7.1867 – † 23.6.1923) war 1905 über Leipzig nach Chemnitz gekommen. Ursprünglich stammte sie aus Prag. In Chemnitz, an der Hartmannstraße 40, setzte Karl Beck seine Tätigkeit als Händler mit Rohprodukten Altmetallen und Altglas fort. In der Ehe von Karl und Anna Beck wurden acht Kinder geboren – darunter Rudolf (*10.6.1896 - † 5.3.1964) dessen erster Ehefrau, Gertrud, nun ebenfalls mit einem Stolperstein gedacht wird.
Pate: Simon Beck (Schweiz)
Theaterstraße 36a, (einst Äußere Klosterstraße 3)
Der Händler Markus Rosenfeld (*27.11.1877) lebte seit 1911 in Chemnitz mit seiner Frau Jacheta Rosenfeld (geb. Kessler). Am 28.12.1912 wurde ihre Tochter Amalie (gen. Mally) geboren. Markus Rosenfeld handelte mit Weiß- und Galanteriewaren. Seine Ehefrau war Inhaberin eines Wirkwarengeschäftes. Die Familie lebte im Haus Äußere Klosterstraße 3.
Mally Rosenfeld besuchte die Höhere Mädchenbildungsanstalt in Chemnitz. Am 25.5.1934 vermählte sie sich mit dem aus Amsterdam stammenden Kaufmann Morice van Voolen.
Die Eheleute zogen dahin. Im Jahre 1939 konnten ihre Eltern nach Holland emigrieren. 1943 wurden Markus und Jacheta Rosenfeld im Lager Westerbork interniert und am 28.5.1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert. Mally van Voolen (*28.12.1912 - † 3.9.1943) wurde ebenfalls nach Westerbork verschleppt. Ihr Leben endete am 3. September 1943 in Auschwitz.
Pate: Rabbiner Edward van Voolen (Niederlande)
Zöllnerstraße 6
Der Lehrer und Kantor Hermann Jungmann (*6.4.1879) kam 1939 nach Chemnitz, wo er Leiter der neu eröffneten Privaten Jüdischen Volksschule wurde. Er gab Unterricht in den Räumen der Jüdischen Kultusvereinigung im Hintergebäude des Hauses Zöllnerstraße 6 und auf dem Jüdischen Friedhof. Zwar beabsichtigten er und seine Frau Paula in die USA auszuwandern, doch blieben beide in Chemnitz, um die Schule aufrechtzuerhalten. Hermann und Paula Jungmann wurden am 13. Juli 1942 in ein Ghetto im besetzten Polen deportiert und dort ermordet. Die Jungmanns hatten mehrere Kinder, darunter Kurt Jungmann (*15.5.1906 - † 16. Juli 1942). Der Landarbeiter war am 18. Juni 1938 im Zuge der Aktion »Arbeitsscheu Reich« verhaftet und nach Sachsenhausen gebracht worden. Am 30. März 1942 deportierten ihn die Nazis in das KZ Groß-Rosen, wo er am 16. Juli 1942 starb. Seine Schwester, die Krankenpflegerin Judith Jungmann (*25.1.1917 – † 22.10.1942) wurde am 19. Oktober 1942 von Berlin aus in das Ghetto Riga deportiert, wo sie am 22. Oktober 1942 starb. Auch Ruth Jungmann, verh. Moratz (*4.2.1908), wurde von Berlin aus am 14. Oktober 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt.
Paten: Grit Bochmann, Michael Leutert , Rico Keller sowie Tabea und Jürgen Martin
Münchner Straße 31
Curt Schubert, Jahrgang 1897, war zur Zeit des NS-Regimes KPD-Mitglied und im Widerstand. Er arbeitete mit der Gruppe Ernst Enge gegen den Krieg und leistete Unterstützung von russischen Zwangsarbeitern. Er wurde deshalb im September 1944 von der Gestapo verhaftet und am 11. April 1945 in Waldheim zum Tode verurteilt. Es kam nicht mehr zum Vollzug. Da die alliierten Armeen bereits in Waldheim standen, wurde Curt Schubert befreit. Nach Kriegsende, in der Nacht vom 29. zum 30. Juni 1946 wurde Curt Schubert in der Nähe des Wißmannhofes ermordet.
Patin: Marga Simon
Annenstraße 18
Der Kaufmann David Mördler (*3.5.1865 - † 28.7.1942) stammte aus Galizien und war verheiratet mit Reisel (gen. Rosa) Mördler (*18.10.1871). Das Paar hatte drei Kinder: Sara, Sophie und Hermann. 1909 zog die Familie nach Chemnitz. Hier führte David Mördler in der Annenstraße 18 ein Geschäft für Strümpfe und Handschuhe. Später gründete er einen Strumpf- und Wirkwaren-Betrieb. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bedeutete für die Familie den Verlust ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Zwischen 1934 und 1937 musste David Mördler das Geschäft aufgeben und anschließend seine Häuser zwangsweise verkaufen. Die Eheleute wurden 1939 gezwungen, mehrfach umzuziehen. Auch die Ausweisung als Staatenlose aus dem »Reichsgebiet« wurde ihnen angeordnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Anweisung ausgesetzt. Im Frühjahr 1940 erhielt das Ehepaar einen Platz im Jüdischen Altersheim am Antonplatz 15. David Mördler erkrankte in dieser Zeit und starb 28.7.1942. Seine Witwe wurde am 8. September 1942 gemeinsam mit den meisten Bewohnern des Altenheimes in das Ghetto Theresienstadt deportiert und drei Wochen später nach Treblinka verschleppt. Seitdem gilt Rosa Mördler als verschollen.
Hermann Mördler (*1903) war mit Erna Anna Brandwein (*1912) verheiratet. Sie war die Tochter von Mendel und Minna Brandwein, die bis 1913 in Gera wohnten. Hermann Mördler war ein engagiertes Mitglied der SPD und trat offen gegen das NS-Regime auf. Wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübertragung 1933 verließ das Ehepaar das Land und ließ sich in Paris nieder. 1934 wurde dort ihr Sohn Charles geboren. Später floh die Familie nach Danzig, um von dort mit dem Schiff nach England zu gelangen. Hermann Mördler musste an Land bleiben und lebte später in Riga. Das letzte Lebenszeichen von ihm stammte aus dem Jahr 1940. Er wurde nach Kriegsende für tot erklärt. Seine Witwe verstarb am 8. Mai 1993.
Pate: Charles G. Moerdler (USA)
Moritzstraße 20, (einst Poststraße 31)
Der Chemnitzer Kaufmann Berthold Steinberg (*15.7.1903) und seine Ehefrau Charlotte Steinberg (*22.4.1909) bekamen am 16. Dezember 1930 ihre Tochter Marion Steinberg. Berthold Steinberg war seit 1930 Mitinhaber der Firma Burghardt & Becher, eine Handlung für Kochgeschirr und Haushaltsgegenstände. Das Geschäft hatte seinen Sitz im Haus Poststraße 31, wo auch die Familie lebte. Die Familie war im Juli 1939 nach Frankreich ausgewandert. Die Eheleute und ihre Tochter wurden später verhaftet und in dem Sammellager Drancy interniert, von dort wurden sie am 9. September 1942 nach Auschwitz verschleppt. Nach Kriegsende wurden sie vom Kreisgericht Karl-Marx-Stadt »für tot erklärt«.
Pate: Gary Samenfeld (USA)